Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat erheblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft (§ 76 Abs. 1 AktG). Der Vorstand wird in der Regel durch den Aufsichtsrat bestellt (§ 84 Abs. 1 AktG). Im Rahmen seiner Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG kann der Aufsichtsrat einen Vorstand nach § 84 Abs. 3, S. 1 AktG aus wichtigem Grund abberufen (Abberufung Vorstand).
Die Möglichkeiten vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abberufung Vorstand ist für die Praxis von besonderem Interesse, da eine Hauptsacheklage durch die mögliche Verfahrensdauer von mehreren Jahren der Schnelllebigkeit im Geschäftsleben nicht gerecht wird.
Einstweiliger Rechtsschutz im Allgemeinen
Vorläufiger Rechtsschutz verlangt allgemein einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund.
Ein Verfügungsanspruch ist ein sicherbarer Anspruch, wenn der angegriffenen Maßnahme formelle und materielle Mängel anhaften.
Formelle Mängel können formelle Beschlussmängel (z.B. Fristversäumnisse etc.) sein.
Materiell kann ein Beschluss z.B. wegen Fehlens eines „wichtigen Grundes“ angegriffen werden.
Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn die Gerichtsverfügung eilbedürftig ist.
Einstweiliger Rechtsschutz bei Abberufung Vorstand
Die zentrale Vorschrift für die Rechtsfolgen der Abberufung Vorstand ist im vorläufigen Rechtsschutz § 84 Abs. 3, S. 4 AktG. Er hat folgenden Wortlaut:
(3) 1Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. 2Ein solcher Grund ist namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, daß das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. 3Dies gilt auch für den vom ersten Aufsichtsrat bestellten Vorstand. 4Der Widerruf ist wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. 5Für die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag gelten die allgemeinen Vorschriften.
Materielle Mängel
Im Fall der Abberufung eines Vorstandes ist der vorläufige Rechtsschutz zugunsten des Vorstands stark eingeschränkt.
Auf der einen Seite ergehen im Eilrechtsschutzverfahren gerade keine rechtskräftigen Entscheidungen. Auf der anderen Seite gilt die Abberufung des Vorstands solange als wirksam, „bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist.“
Mangels rechtskräftiger Entscheidungen ist dem Vorstandsmitglied die Rüge des fehlenden „wichtigen Grundes“ im vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich verwehrt.
Ausnahmsweise kann das Vorstandsmitglied aber eine willkürliche Entscheidungen des Aufsichtsrates angreifen geltend machen. Die Willkürkontrolle beschränkt sich wegen ihres Ausnahmecharakters auf evident missbräuchliches beziehungsweise willkürliches Aufsichtsratshandeln. Dieses nicht hinzunehmende Handeln muss schon in einem summarischen Verfahren (= vorläufige, „oberflächliche“ Prüfung des Richters) feststellbar sein. Um die Beschränkungen des einstweiligen Rechtsschutzes durch § 84 Abs. 3, S. 4 AktG nicht zu umgehen, sind hohe Anforderungen an den Befund „Willkür“ zu stellen. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, dass den widerrufenden Beschluss der materielle Mangel „auf die Stirn geschrieben“ sein muss.
Formelle Mängel bei Abberufung Vorstand
Im Gegensatz zu materiellen Einwendungen (z.B. kein wichtiger Grund für die Abberufung) richten sich formelle Rügen nicht gegen den Inhalt des widerrufenden Aufsichtsratsbeschlusses, sondern gegen das Zustandekommen beziehungsweise gegen die Bekanntgabe des Beschlusses. Das Vorstandsmitglied ist trotz der Beschränkungen in § 84 Abs. 3, S. 4 AktG nach herrschender Meinung mit formellen Einwendungen nicht ausgeschlossen.
Fehlen eines Gesamtaufsichtsratsbeschlusses
Die Abberufung Vorstand muss nach dem eindeutigen Wortlaut von § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG der Aufsichtsrat beschließen (§ 108 Abs. 1 AktG). Eine Übertragung dieser Aufgabe an einen Ausschuss ist gemäß § 107 Abs. 3 Satz 7 AktG ausgeschlossen. Nicht ausreichend ist es daher, wenn beispielsweise der Personalausschuss oder gar der Aufsichtsratsvorsitzende die Abberufung veranlasst. In diesen Fällen fehlt es an einem Beschluss des Gesamtaufsichtsrates und damit an einer Maßnahme im Sinne des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG.
Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses
Hat der Gesamtaufsichtsrat den Abberufungsbeschluss gefasst, kann dieser aus verschiedenen Gründen nichtig sein. Nachfolgend sollen einige Nichtigkeitsgründe besprochen werden, ohne Anspruch auf eine abschließende Darstellung zu erheben.
Einberufungsmängel
Über den Tagesordnungspunkt Abberufung Vorstand darf nur Beschluss gefasst werden, wenn in der Einberufung zur Aufsichtsratssitzung bereits darüber Angaben enthalten waren, welche Maßnahmen zur Beratung und Beschlussfassung gestellt werden und gegen welche Personen sie sich richten. Eine Einberufung, die lediglich den pauschalen Hinweis auf einen Tagesordnungspunkt „Vorstandsangelegenheiten“ enthält, genügt nicht. Derartige Einberufungsfehler führen nicht zur Anfechtbarkeit des Beschlusses, sondern zu dessen Nichtigkeit.
Verwirkung
Das Recht zur Abberufung Vorstand aus wichtigem Grund kann nach allgemeinen Regeln verwirkt sein. Die Verwirkung eines Rechts tritt ein, wenn es vom Berechtigten über längere Zeit nicht geltend gemacht wird und der andere Teil sich nach dem Verhalten des Berechtigten darauf einstellen durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Richtigerweise ist für die Frage der Verwirkung die Kenntnis des gesamten Aufsichtsrates und nicht nur einzelner Aufsichtsratsmitglieder zu fordern.
Beschlussunfähiger Aufsichtsrat
Schließlich kann der Beschluss des Gesamtaufsichtsrates auch ein „Nichtbeschluss“ sein, wenn der Aufsichtsrat bei der Beschlussfassung nicht beschlussfähig war. Die Beschlussfähigkeit richtet sich gemäß § 108 Abs. 2 AktG grundsätzlich nach der Satzung der AG, als Minimalanforderung müssen jedoch mindestens drei Mitglieder des Aufsichtsrates an der Beschlussfassung teilnehmen.
Mitbestimmungsrecht nicht beachtet
In einer mitbestimmten Gesellschaft ist beim Widerruf der Bestellung zusätzlich zu beachten, dass dieser Beschluss gemäß § 31 Abs. 1, 2, 3 MitbestG in dem dort vorgesehenen dreistufigen Abstimmungsverfahren zu fassen ist.
Fehlender Zugang des Aufsichtsratsbeschlusses
Die Abberufung Vorstand kann zudem angegriffen werden, indem der Zugang der empfangsbedürftigen Abberufungserklärung bestritten wird. Es ist dabei umstritten, ob der Vorstand den Abberufungsbeschluss, der ihm von dem Aufsichtsratsvorsitzenden übergeben wird, unverzüglich mit dem Argument zurückweisen kann, der Erklärungsüberbringer habe keine Vertretungsmacht, entsprechend § 174 Satz 1 BGB. Unabhängig davon, dass oftmals wegen ausdrücklicher Regelungen in Satzung oder Geschäftsordnung § 174 Satz 2 BGB anwendbar sein wird, ist zum Schutz des Gewissheitsinteresses des Vorstands § 174 Satz 1 BGB entsprechend auf die Erklärung des Widerrufs anzuwenden. Wir empfehlen deshalb, den Überbinger des Widerrufsbeschlusses (oftmals der Aufsichtsratsvorsitzende) ausdrücklich zur Übergabe des Beschlusses zu ermächtigen. Dadurch kann eine Zurückweisung des Beschlusses in jedem Fall verhindert werden.
Verfügungsgrund
Wie bereits oben beschrieben, ist allein die drohende Dauer des Hauptsacheverfahrens eine Gefahr für die Verwirkung der Rechtsposition des Vorstands, sodass stets eine Verfügungsgrund gegeben ist.
Zusätzlich ist in Verfahren einer einstweiligen Verfügung (e.V.) der Frage der „Selbstwiderlegung der Dringlichkeit“ besonderes Augenmerk zu widmen. Es ist allgemein anerkannt, dass eine zögerliche Rechtsverfolgung durch den Vorstand den Verfügungsgrund widerlegen kann. Es ist daher auch aus anwaltlicher Sicht besonders auf den zügigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu achten. Insbesondere in einem Verfahren, in dem die Fehlerhaftigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses auf einen nichtigen Beschluss der Hauptversammlung zurückgeführt wird, sollte aus anwaltlicher Vorsicht der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz noch während der laufenden Anfechtungsfrist nach § 246 Abs. 1 AktG eingereicht werden.
Glaubhaftmachung
Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund müssen glaubhaft gemacht werden.
Die Glaubhaftmachung im einstweiligen Verfügungsverfahren (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO) hat geringere Anforderungen als der Vollbeweis. Eine Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Als Mittel der Glaubhaftmachung wird in der Regel eine Versicherung an Eides statt genutzt.
Sonstiges
Antragsteller des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Vorstand, Antragsgegnerin die Aktiengesellschaft (AG). Die AG wird durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 112 S. 1, Alt. 1 AktG). Der Antrag vor dem Landgericht, Kammer für Handelssachen, ist auf die Untersagung des Widerrufs der Bestellung zum Vorstand als wirksam gerichtet.