Zeitlich vor der Durchführung einer einberufenen Gesellschafterversammlung einer GmbH erließ das LG Stendal eine Unterlassungsverfügung zugunsten eines Gesellschafters gegen die GmbH im Zusammenhang mit bekanntgemachten Tagesordnungspunkten. Die Unterlassungsverfügung richtete sich gegen eine nach Beschlussfassung folgende Umsetzung diese Gesellschafterbeschlusses (Rechtsschutz gegen die Beschlussausführung), hier die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste beim Handelsregister nach Einziehung von Geschäftsanteilen.

Die Gesellschafterversammlung wurde nach Erlass der einstweiligen Verfügung abgesagt. Die Parteien erklärten sodann die Unterlassungsverfügung für erledigt. Das OLG Naumburg verpflichtete nun die GmbH zur Übernahme der diesbezüglichen Kosten des Rechtsstreits.

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Der Fall der einstweiligen Verfügung vor der Gesellschafterversammlung

Die GmbH berief durch ihren Geschäftsführer eine Gesellschafterversammlung am 30.07.2021 ein. Tagesordnungspunkt der einberufenen Gesellschafterversammlung sollte u.a. die Einziehung der Geschäftsanteile des Gesellschafters A an der GmbH sein. Die Geschäftsanteile des Gesellschafters A sind bis heute lediglich zu 50% eingezahlt.

Am 27.07.2021 stellte der Gesellschafter A beim LG Stendal einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die GmbH mit dem Inhalt, dass die GmbH es zu unterlassen habe,

  • nach eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung am 30.07.2021 eine neue Gesellschafterliste der GmbH ohne den Gesellschafter A beim Handelsregister einzureichen,
  • hilfsweise eine bereits eingereichte Gesellschafterliste zurückzunehmen, sofern sie noch nicht in dem Registerordner aufgenommen worden ist,
  • „und für den Fall, dass im Zeitpunkt der Zustellung der vorliegenden einstweiligen Verfügung an die Antragsgegnerin bereits eine Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht, jedoch noch nicht in den Registerordner (i.S.v. § 9 Abs. 1 HRV) der Antragsgegnerin aufgenommen worden ist, in der die Antragstellerin nicht mehr als Gesellschafterin der Antragsgegnerin mit einer Beteiligung von … € am Stammkapital ausgewiesen ist, wird die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, eine neue Gesellschafterliste beim Handelsregister einzureichen, die die Antragstellerin als Gesellschafterin der Antragsgegnerin mit einer Beteiligung von … € am Stammkapital ausweist und bis dahin die Antragsgegnerin als Gesellschafterin der Antragsgegnerin mit einer Beteiligung von … €  zu behandeln.“

Die Unterlassungsverfügung wurde am 28.07.2021 unter dem Aktenzeichen LG Stendal 31 O 24/21 erlassen. Die Verfügung wurde gegenüber der GmbH nicht vollzogen.

Die Gesellschafterversammlung wurde vor dem 30.07.2021 abgesagt und sie fand auch nicht statt.

Die GmbH legte nach dem 30.07.2021 Widerspruch gegen die Verfügung ein. Danach erklärten beide Parteien die Unterlassungsverfügung für erledigt.

Das LG Stendal entschied mit Beschluss vom 20.09.2021, dass die GmbH die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Das OLG Naumburg bestätigte die Kostenentscheidung des LG Stendal in einem Beschluss vom 26.10.2021 unter dem Aktenzeichen 4 W 16/21.

Die Entscheidungen der des LG Stendal und des OLG Naumburg zur Kostentragung

Das OLG Naumburg meinte, dass die GmbH die Kostenpflicht trägt, da diese in einem Verfügungsurteil unterlegen wäre. Diese Auffassung halten wir für unrichtig.

Einziehung mangels Volleinzahlung der Einlage nichtig

Unter- und Obergericht übersahen, dass es für einen Erlass einer einstweiligen Verfügung an einem Verfügungsanspruch fehlte.

Eine Einziehung eines Geschäftsanteils an einer GmbH nach § 34 GmbHG setzt u.a. voraus, dass der Geschäftsanteil voll eingezahlt ist. Andernfalls ist ein Einziehungsbeschluss nicht nur anfechtbar, sondern von Anfang an nichtig. In dem streitgegenständlichen Fall hatte der Gesellschafter A bis zum 26.10.2021  satzungs- und vereinbarungsgemäß nur 50% seiner Einlage erbracht. Danach hätte ein Einziehungsbeschluss seine Nichtigkeit zur Folge.

Das LG Stendal stellte in seinem Beschluss vom 20.09.2021 selbst fest:
„Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt insoweit jedoch nur in Betracht, wenn anderenfalls wirksamer Rechtsschutz versagt bliebe, wobei als Kriterien die besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers und die Eindeutigkeit der Rechtslage zu berücksichtigen sind …. Sie kann auch auf das Verbot ausgerichtet sein, einen angefochtenen Beschluss zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden oder auf die Verhinderung der Einreichung einer auf der Grundlage eines angefochtenen Beschlusses geänderten Gesellschafterliste gerichtet sein ….“
Das LG Stendal beachtete sodann aber nicht, dass eine Einziehung der Geschäftsanteile ausgeschlossen war. Das LG Stendal setzte sich mit dem Erfordernis eines wichtigen Grundes auseinander, der allenfalls zu einem anfechtbaren Beschluss führen kann.
„Nach § 9 Ziffer 2 c) des Gesellschaftsvertrages setzt die Einziehung von Geschäftsanteilen eines jeden Gesellschafters voraus, dass ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Antragstellerin nicht der Fall. Die Antragstellerin hatte daher ein schutzwürdiges Interesse daran, den Vollzug eines entsprechenden Beschlusses der Gesellschafterversammlung am 30. Juli 2021 zu verhindern durch die Untersagung …“

Die mangelnde Volleinzahlung auf den Geschäftsanteil beachtete das LG Stendal dagegen nicht. Bei Beleuchtung dieser Voraussetzung für eine Geschäftsanteilseinziehung hätte das LG Stendal zum Ergebnis kommen müssen, dass ein nichtiger Beschluss über eine Geschäftsanteilseinziehung keines vorläufigen Rechtsschutzes bedarf.

Voraussetzungen für vorläufigen Rechtsschutz gegen die Beschlussausführungen fehlen

Unter- und Obergericht übersahen, dass es für einen Erlass einer einstweiligen Verfügung an einem Verfügungsgrund fehlte.

Mildere Verteidigungsmöglichkeit gegen Beschlussausführung

Vor dem Hintergrund

  • der aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip zu entnehmenden Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und
  • der im Einzelfall bestehenden Gefahr,
    • dass fehlerhafte Beschlüsse zu vollendeten Tatsachen führen und Folgen zeitigen,
    • die mit den Mitteln nachgehenden Rechtsschutzes nicht mehr hinreichend beseitigt werden können,

kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung (mit dem Ziel, die Ausführung eines angeblich rechtswidrigen Beschlusses zu verhindern) vor der Durchführung der betreffenden Gesellschafterversammlung in Betracht.

Sollen Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung der GmbH gefasst werden, die der Eintragung in das Handelsregister bedürfen, so kann die einstweilige Verfügung darauf gerichtet sein, der GmbH

Ein alternativ wirksamer Rechtsschutz darf aber nicht zur Verfügung stehen, wobei als Kriterien

  • die besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers und
  • die Eindeutigkeit der Rechtslage angeführt werden.

Einstweilige Verfügungen im Vorfeld von Gesellschafterversammlungen kommen also nur ausnahmsweise in Betracht. Der einstweilige Rechtsschutz muss  das mildeste Mittel sein.

Würden durch einen beabsichtigten Beschluss und deren Umsetzung Fakten geschaffen, die durch nachträglichen Rechtsschutz nicht mehr wieder gut gemacht werden könnten, ist ebenso Raum für eine einstweilige Verfügung vorhanden.

Im Gegensatz zur Auffassung des OLG Naumburg wären durch die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste ohne den Gesellschafter A für A mindestens eine Verteidigungsstrategie eröffnet, die nicht auf den Erlass der streitgegenständlichen Unterlassungsverfügung angewiesen ist. Es gibt also mildere Mittel, um die Aufnahme der geänderten Gesellschafterliste in das Handelsregister zu verhindern.

Der Gesellschafter A könnte beispielsweise vor oder unmittelbar nach der Gesellschafterversammlung das Handelsregister mit Nachweisen informieren, dass der Einziehungsbeschluss mangels Volleinzahlung nichtig ist und er gegen den Einziehungsbeschluss gerichtlich vorgeht. Das Handelsregister erhält auf diese Weise sichere Kenntnis von der inhaltlichen Unrichtigkeit der eingereichten Liste. Da die eingereichte Gesellschafterliste  danach ofensichtlich falsch ist, besteht auch ein (begrenztes) matarielles Prüfungsrecht des Handelsregisters. Es setzt in diesem Fall die Aufnahme der neuen, geänderten  Gesellschafterliste in das Handelsregister, gegebenenfalls auch nach § 381 FamFG aus.

Treu und Glauben und Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG

Unter- und Obergericht übersahen die Entscheidung des BGH vom 2. Juli 2019 – II ZR 406/17.

Der BGH erläuterte, dass die GmbH nach Treu und Glauben gehindert ist, sich auf die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zu berufen, wenn entgegen der gerichtlichen Anordnung eine veränderte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht und im Registerordner aufgenommen worden ist. Nach Treu und Glauben kann sich die GmbH auf die Legitimationswirkung einer Gesellschafterliste unter anderem dann nicht berufen, wenn sie selbst durch unredliches Verhalten die Aufnahme der Gesellschafterliste im Handelsregister herbeigeführt hat.

Damit genießt der Gesellschafter A auch vollen Gesellschafterschutz, wenn die einstweilige Verfügung nach dem 30.07.2021 beantragt worden wäre. Der Gesellschafter A hätte danach nicht ins Blaue hinein vorläufigen Rechtsschutz suchen müssen, egal ob die Gesellschafterversammlung stattfindet oder nicht, ob der Einziehungsbeschluss gefasst wird oder nicht. Der Gesellschafter A hätte in der Gesellschafterversammlung am 30.07.2021 klarstellen können, dass sein Geschäftsanteil an der GmbH nicht vollständig eingezahlt ist. Ein Einziehungsbeschluss wäre nichtig, eine Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste durch die GmbH unredlich. Gesellschafter A ist trotz Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln, auch wenn er nicht mehr in der im Handelsregister aufgenommenen geänderten Gesellschafterliste steht. Es war deshalb nicht erforderlich, die einstweilige Verfügung vor Durchführung der Gesellschafterversammlung zu erwirken. Der Gesellschafter A hätte bis nach der Gesellschafterversammlung abwarten können.

Auffassung unserer Kanzlei

Nach Auffassung unserer Kanzlei, wäre der Gesellschafter A im Zeitpunkt vor der Durchführung der Gesellschafterversammlung mangels Verfügungsanspruch und mangels Verfügungsgrund unterlegen gewesen. Der Gesellschafter A hätte die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.

Thüringen 2021

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