Der BGH bezog in seinem Urteil vom 02. Juli 2019 – II ZR 406/17 erneut Stellung zum umstrittenen Thema der Gesellschafterliste einer GmbH.

Der Fall

Ein Gesellschafter einer GmbH sollte durch Einziehung seiner Geschäftsanteile aus wichtigem Grund, § 34 GmbHG, aus der Gesellschaft zwangsweise ausgeschlossen werden. Über den Zwangsausschluss wurde in der Gesellschafterversammlung ein annehmender Beschluss gefasst.

Der vom Ausschluss betroffene Gesellschafter erwirkte eine einstweilige Verfügung, § 935 ZPO, nach der der GmbH untersagt wurde, infolge des Zwangsausschlusses eine neue Gesellschafterliste – nun ohne den betroffenen Gesellschafter – beim Handelsregister einzureichen, § 40 GmbHG.

Trotz der gerichtlichen Untersagung, reichte die GmbH über den Notar wiederholt eine neue Gesellschafterliste – ohne den von der Einziehung betroffenen Gesellschafter aufzuführen – beim Handelsregister ein. Die neuen Gesellschafterlisten wurden auch beim Handelsregister zur Einsicht hinterlegt.

In folgenden Gesellschafterversammlungen wurde der Ausgeschlossene als Gesellschafter nicht mehr berücksichtigt, weil er in der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste nicht mehr aufgeführt war, § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG.

Das Urteil des BGH und seine Urteilsgründe

Der BGH sah in dem nachgelagerten Verhalten der GmbH richtigerweise einen Verstoß gegen die Untersagungsverpflichtung der einstweiligen Verfügung, weil dennoch eine neue Gesellschafterliste beim Handelsregister eingereicht wurde. Nach Treu und Glauben, § 242 BGB, durfte die GmbH sich deshalb im Nachgang gegenüber dem von der Einziehung betroffenen Gesellschafter (z.B. im Zusammenhang mit nachfolgenden Gesellschafterversammlungen) nicht auf die Fiktionswirkung der neu hinterlegten Gesellschafterlisten berufen. Die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs 1 Satz 1 GmbHG steht unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben und tritt hinter die Treuepflicht der verbleibenden Gesellschafter und der Gesellschaft zurück. Anderenfalls versagt der effektive Rechtsschutz des von der möglicherweise fehlerhaften Einziehung des Geschäftsanteils Betroffenen. Es ist auch ohne Bedeutung, dass die Liste der Gesellschafter nicht von der Gesellschaft selbst, sondern vom Notar zum Handelsregister eingereicht wurde. Die Gesellschaft war verpflichtet, den Notar von der Verbotsverfügung zu unterrichten.

Die Auswirkungen des Urteils auf die Praxis

Diese neue Rechtsprechung des BGH hat gravierende Konsequenzen.

Wird der entgegen der Unterlassungspflicht laut einstweiliger Verfügung aus der Liste der Gesellschafter Ausgetragene zu den künftigen Gesellschafterversammlungen nicht eingeladen, führt die Nichteinladung zur Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse nach § 241 Nr. 1 AktG analog (vergleiche auch die Rechtsprechungssammlung dazu). In gleicher Weise sind Beschlüsse im Umlaufverfahren nichtig, wenn ein Gesellschafter nicht am Umlaufverfahren, § 48 Abs. 2 GmbHG, beteiligt wird. Jeder Gesellschafter muss sein Einverständnis zum Umlaufverfahren erklären, was derjenige Gesellschafter nicht abgeben kann, der über das Umlaufverfahren nicht informiert ist.

Unsere Urteilskritik

Das neue Urteil relativiert das Urteil des BGH vom 24.01.2012 – II ZR 109/11. Dort heißt es im 1. Leitsatz:

„Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wird, wird die Einziehung mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter und nicht erst mit der Leistung der Abfindung wirksam.“

2012 gab der BGH die Rechtsprechung auf, wonach der Gesellschafter nach einem Ausschluss erst aus der Gesellschaft ausschied, wenn der letzte Euro Abfindung für den Verlust der Beteiligung gezahlt worden ist. Dies konnte aufgrund einer Ratenzahlungsregelung in der Satzung mehrere Jahre dauern. Der ausgeschlossene Gesellschafter konnte in dieser Zeit Gesellschafterrechte wahrnehmen. Mit dem neuen Urteil ist der BGH faktisch teilweise zur alten Übergangsphase der Unsicherheit zurückgekehrt.

Der BGH schafft einen einseitigen vorteilhaften vorläufigen Rechtsschutz für den Ausgeschlossenen aus wichtigem Grund. Die Gesellschaft und die verbliebenen Gesellschafter werden nicht geschützt, müssen dem möglicherweis wirksam ausgeschlossenen Gesellschafter weiter Dividende zahlen. Er kann als Zünglein an der Waage Gesellschafterbeschlüsse (z.B. über wichtige Investitionen) beeinflussen; weitere Rechtsstreite über die folgenden Beschlussfassungen nach dem Ausschlussbeschluss sind dann nicht zu vermeiden.

Die Unsicherheitsrisiken sind für alle Beteiligten hoch. Auf Seiten des Ausgeschlossenen besteht das Risiko, Schadensersatz leisten zu müssen, wenn die Unterlassungsverfügung von Anfang an ungerechtfertigt war, § 945 ZPO. Der Schaden kann bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer vor 2 Gerichtsinstanzen sehr hoch ausfallen. Die Gesellschaft trägt das Risiko, dass der Schaden vom Ausgeschlossenen nicht aufgebracht werden kann. Die Gesellschafter sind gezwungen, festgestellte Gesellschafterbeschlüsse anzugreifen, wenn sie auf einer unrichtigen Auszählung der Stimmen beruhen, weil der Betroffene nach der objektiven Rechtslage aus der Gesellschaft zwangsweise ausgeschlossen wurde und keine Stimme mehr hatte.

Es ist offen, ob die Unterlassungsverfügung nicht nur im Innenverhältnis gilt, oder auch gegenüber Dritten, also im Außenverhältnis. In jedem Fall entstehen weitere Unsicherheiten.

Der BGH bürdet dem Landgericht die Aufgabe auf, über die Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage vorläufig zu entscheiden. Aus einer vorläufigen Einschätzung wird quasi ein Hauptsacheverfahren. Rechtsanwälte sind nun gehalten, den sichersten Weg zu gehen und alle Argumente in das einstweilige Verfügungsverfahren einzubringen.

Wir empfehlen

Ausschlussverfahren sind sehr gut vorzubereiten. Alle Fakten müssen vor einer Beschlussfassung auf den Tisch und bewertet werden.

Die Gesellschaft sollte Schutzschriften vorbereiten.

Auch ist das einstweilige Verfügungsverfahren wie ein Hauptsacheverfahren zu führen. Im vorläufigen Rechtsschutz werden nun entscheidende Weichen gestellt.

Ergänzende Urteilsbegründungen des BGH

Der BGH äußert sich im Urteil außerdem zur Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers in Prozessen gegen einen Geschäftsführer und zur Bestellung eines besonderen Vertreters, § 46 Nr. 8, 2. Alt.GmbHG.

Der BGH wiederholt seine Rechtsprechung zur Wirkung der Feststellung eines Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter. Danach ist der Beschluss mit dem festgestellten Inhalt vorläufig verbindlich und kann durch eine Anfechtungsklage, § 243 AktG analog,  angegriffen werden.

Der BGH festigt die grundsätzliche Fiktionswirkung der Liste der Gesellschafter, § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Gibt es z.B. keine entgegenstehende einstweilige Verfügung, greift die Vermutung der Gesellschafterliste. Die in der Gesellschafterliste aufgeführte Person ist formal Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten, der dort nicht Eingetragene gilt nicht als Gesellschafter der GmbH und ihn treffen insoweit weder Rechte noch Pflichten, sog. negative Legitimationswirkung. Auf die tatsächliche Eigentumslage der Beteiligung kommt es dabei nicht an.

Der BGH geht auf den fakultativen Aufsichtsrat ein; wir haben dazu einen gesonderten Blog eröffnet.

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Empfehlungen zum Weiterlesen