Das OLG Nürnberg beschäftigte sich in seinem Urteil vom 11. August 2021 – 12 U 1149/18 im Aktienrecht mit

  • der Zulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage gegen die Ermächtigung des Vorstands zur Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss von Aktionären im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals,
  • dem Umfang der Berichtspflicht des Vorstands,
  • der  sachliche Rechtfertigung des Hauptversammlungsbeschlusses über die Ermächtigung des Vorstands und
  • der Regelung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses.

Der Fall zum Bezugsrechtsausschluss

Aktionärin A verklagte  eine Aktiengesellschaft (AG) mittels Anfechtungsklage. Ein in der Hauptversammlung (HV) gefasster Beschluss mit dem Inhalt

„Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals gegen Bar- und/oder Sacheinlagen mit der Möglichkeit zum Ausschluss des Bezugsrechts (Genehmigtes Kapital 2017) und entsprechende Anpassung von § 5 Abs. 2 der Satzung“

soll insoweit für nichtig erklärt werden,

  • als der Vorstand dabei ermächtigt wird, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre [ohne jede Einschränkung] auszuschließen, – hilfsweise begehrt sie die Nichtigerklärung dieses (unten zitierten) vollständigen Beschlusses der AG.

Das Grundkapital der AG beträgt 6.431.951,00 EUR und ist in 6.431.951 auf den Inhaber lautende Stückaktien ohne Nennbetrag eingeteilt (§ 5 Abs. 1 der Satzung). Der Vorstand der AG war ermächtigt, das Grundkapital der AG mit Zustimmung des Aufsichtsrats um bis zu insgesamt 9.647.926,00 EUR gegen Bar- und/oder Sacheinlagen durch Ausgabe neuer, auf den Inhaber lautender nennwertloser Stückaktien zu erhöhen (Genehmigtes Kapital 2012). Der Vorstand war weiter ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre in im Einzelnen dargelegten Fällen auszuschließen. Von dieser Ermächtigung war seitens des Vorstandes kein Gebrauch gemacht worden.

Bei der am 28.06.2017 stattgefundenen ordentlichen Hauptversammlung der AG wurde der folgende Beschlussvorschlag der Tagesordnung gebilligt und beschlossen, § 5 Abs. 2 der Satzung wie folgt zu ändern:

„Der Vorstand ist ermächtigt, das Grundkapital der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zum 27. Juni 2022 einmalig oder mehrmalig um bis zu insgesamt 3.215.975,00 EUR gegen Bar- und/oder Sacheinlagen durch Ausgabe neuer, auf den Inhaber lautender nennwertloser Stückaktien zu erhöhen (Genehmigtes Kapital 2017). Der Vorstand ist ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats den weiteren Inhalt der Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe festzulegen. Die neuen Aktien sind den Aktionären zum Bezug anzubieten. Die neuen Aktien können auch von einem oder mehreren durch den Vorstand bestimmten Kreditinstituten oder nach § 53 Absatz 1 Satz 1 oder § 53b Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 7 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen mit der Verpflichtung übernommen werden, sie den Aktionären zum Bezug anzubieten (mittelbares Bezugsrecht). Der Vorstand ist jedoch ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen. Der Aufsichtsrat ist ermächtigt, die Fassung des § 5 der Satzung nach vollständiger oder teilweiser Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals entsprechend der jeweiligen Ausnutzung des Genehmigten Kapitals 2017 und, falls das Genehmigte Kapital 2017 bis zum 27. Juni 2022 nicht oder nicht vollständig ausgenutzt worden sein sollte, nach Ablauf der Ermächtigungsfrist anzupassen.“

Das Urteil zum Bezugsrechtsausschluss

Das OLG Nürnberg stellte in seinem Urteil fest:

  1. Eine „isolierte“ Anfechtungsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss einer Aktiengesellschaft, die sich lediglich gegen die Ermächtigung des Vorstandes richtet, im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 1 AktG) über den Ausschluss des Bezugsrechts von Aktionären zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG) ist zulässig. Die gleichzeitige Anfechtung auch der Ermächtigung des Vorstandes zur Kapitalerhöhung ist nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB nicht geboten.
  2. Die Berichtspflicht des Vorstandes anlässlich des von der Hauptversammlung zu treffenden Ermächtigungsbeschlusses gemäß § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG erfordert nicht, dass sämtliche denkbaren Gründe für einen Ausschluss des Bezugsrechts abschließend benannt werden.
  3. Ein Hauptversammlungsbeschluss betreffend die Ermächtigung des Vorstandes, im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals über den Ausschluss des Bezugsrechts von Aktionären zu entscheiden, bedarf lediglich insoweit der sachlichen Rechtfertigung, als diese Ermächtigung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegen und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben werden muss. Eine konkrete Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ist vom Vorstand erst im Zeitpunkt seiner Entscheidung über einen solchen Ausschluss aufgrund der ihm erteilten Ermächtigung zu prüfen.
  4. Die Regelung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG steht einem Hauptversammlungsbeschluss über die Ermächtigung, im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 1 AktG) über den Ausschluss des Bezugsrechts von Aktionären zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG), selbst dann nicht entgegen, wenn dieser Beschluss einen Bezugsrechtsausschluss in weitergehendem Umfang, als in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG geregelt, ermöglicht.
  5. Die Revision wurde zugelassen.

Unsere Empfehlung zum Bezugsrechtsausschluss

1. Die unwirksame Ermächtigung des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss strahlt nicht zwingend auch auf die Nichtigkeit des Beschlusses über die Einführung eines genehmigten Kapitals aus.
Wenn die Schaffung des genehmigten Kapitals auch ohne einen Bezugsrechtsausschluss beschlossen worden wäre, führt die Nichtigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses nicht zugleich zur Nichtigkeit der Schaffung des genehmigten Kapitals. Anhaltspunkte für diese Annahme können sich aus der Formulierung des Hauptversammlungsbeschlusses wie auch aus dem Vorstandsbericht ergeben.

2. Die Berichtspflicht des Vorstandes im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts fordert lediglich eine allgemeine Bekanntgabe in abstrakter Form. Hierzu reicht aus, dass

  • der Vorstand lediglich exemplarisch Fälle aufzeigt, in denen ein Bezugsrechtsausschluss in Betracht kommt und
  • im Interesse der Gesellschaft liegen könnte;
  • es reicht insoweit eine abstrakte Auflistung von möglichen Rechtfertigungsgründen ohne tatsächlichen Bezug aus.

Eine konkrete Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluss muss im Hinblick auf ihre sachliche Rechtfertigung mit den angeführten Zwecken vergleichbar sein und im Kern entsprechen.

3. Für das genehmigte Kapital genügt es für die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses, dass

  • er im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und
  • der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird. Dies bedeutet:
    • Die Maßnahme muss zwar im Interesse der Gesellschaft liegen.
    • Sie braucht aber nur allgemein umschrieben und in dieser Form der Hauptversammlung bekannt gegeben zu werden.
    • Die Hauptversammlung hat über die Ausschlussermächtigung nur anhand abstrakter Informationen festzustellen, dass der Bezugsrechtsausschluss im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt.
    • Eine konkrete Prüfung ist zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich, zumal die tatsächlichen Umstände erst bei Ausnutzung der Ermächtigung beurteilt werden können.
    • Auch ist es nicht erforderlich, dass
      • die Maßnahme zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich sowie
      • nach Abwägung verhältnismäßig ist.
    • Nur wenn der Vorstand bei der Beschlussfassung über das genehmigte Kapital konkrete Pläne über die Verwendung hat, ist er, vorbehaltlich etwaiger Geheimhaltungsinteressen, verpflichtet die Hauptversammlung über den Verwendungszweck zu informieren.

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